Geneigte Leserschaft (ein kleiner Bridgerton-Witz auf meine Kosten),
das Schreiben hilft ja bekanntlich über die ein oder andere Krise hinweg oder vermag zumindest deren Bewältigung unterstützen. Das Finden von Worten für eine Zeit des Leids, die Dokumentation, das Festhalten der Emotionen, der Ängste und Hoffnungen. Ja, das kann hilfreich sein. Schauen wir mal, ob es funktioniert.
Nun mag man sich bei der Überschrift verleiten lassen zu glauben, ich sei betrogen worden. Dem ist nicht so! Und dennoch wurde ich von dieser Addison schwer verwundet. Immer, wenn es die eigenen Kinder betrifft, wird man doppelt getroffen. Nichts ist angsteinflösender als die Angst um das eigene Kind. Und nichts ist schmerzhafter, als dem eigenen Kind nicht die Dinge abnehmen zu können, mit denen es nun Leben soll.
Seit letzter Woche gehört Addison zu unserer Familie. Und sie hätte fast mein Kind auf dem Gewissen, weil sie so selten ist, dass selbst der Chefarzt des Krankenhauses dieses Krankheitsbild noch nie selbst erlebt hat. So kam es nun, dass nicht die Ärzte bei meiner Tochter Morbus Addison diagnostizierten, sondern ich. Ich war es, in der lähmenden Angst, dass mein Kind die nächste Nacht nicht überstehen würde, das Internet durchforstete, auf der Suche nach einer Erklärung und tatsächlich fündig wurde.
Ich gab ein: Magersucht und Erbrechen.
Nein, mein Kind ist nicht magersüchtig. Und doch wollte man uns und sie von Beginn an in diese Richtung schieben. Am Mittwochabend fuhr ich meine Tochter in die Notaufnahme, nachdem ich mit dem kassenärztlichen Notdienst telefoniert hatte und diese Frau sehr geistesgegenwärtig den katastrophalen Zustand von ihr einschätzte.
Abgeschlagenheit, Antriebslosigkeit, Appetitverlust, Gewichtsverlust und nun noch Erbrechen. Schon den ganzen Tag. In der Notaufnahme angekommen wurden wir zwar sehr gut behandelt, aber dennoch wurde sich überhaupt nicht auf das Erbrechen konzentriert. Sowohl für die Ärztin als auch für die Schwester lag der Fokus auf dem sehr geringen Gewicht meiner Tochter. Magersucht, Drogen, es wurde nach Gründen gesucht. Depressionen. Man hätte uns beinahe wieder nach Hause geschickt. Da ein Herzwert für ihr Alter untypisch erhöht war, durfte sie bleiben.
Was die nächsten Tage passierte, lässt mich immer wieder zusammenzucken, regelrechte Krämpfe in der Magengegend bekommen. Sie konnte nichts drin behalten. Von Tag zu Tag wurde sie schwächer und am Wochenende wurde scheinbar nicht mehr weitergesucht. Auf die Frage, ob man meiner Tochter Nährstoffe geben könne, antwortete mir der Arzt, dass Ziel des Aufenthalts nicht sei, sie wieder auf Normalgewicht zu bekommen, sondern nach körperlichen Ursachen für den Gewichtsverlust zu suchen. Alles andere müsse man in einer psychosomatischen Therapie klären. Ich könne ihr einen Proteinshake mitbringen.
ICH BIN NICHT WEGEN DES GEWICHTS GEKOMMEN, SONDERN WEIL SIE SEIT TAGEN ERBRICHT!!!! SIE KANN KEINEN SHAKE TRINKEN!!!
Am Sonntag wurde ihr Zustand so schlimm, dass meine Mutterinstinkte derart anschlugen, dass ich eine Lösung finden musste und zwar so schnell wie möglich.
Also suchte ich und wurde fündig. Auf einer Seite für Internisten stand es.
All die oben beschriebenen Symptome plus etwas, was uns zwar aufgefallen war, wir aber nie in Zusammenhang mit einer Krankheit gebracht haben. Ihre Hautfarbe! Dafür dass sie die letzten Wochen bis fast Monate fast ausschließlich im Bett lag und bis auf wenige Ausnahmen ihr Zimmer nicht mehr verließ (wir schoben es auf Liebeskummer, Lustlosigkeit nach geschafftem Schulabschluss usw.), war und ist sie viel zu braun. Ein Symptom von Morbus Addison ist die auffällige Färbung der Haut, insbesondere der Hände.
Ich hatte die Schwestern der Station auf meiner Seite, die E-Mail-Adresse des Chefarztes und Gott sei Dank wurde die diensthabende Ärztin gerufen und sie hat meine Bitte, meine Tochter auf Morbus Addison zu testen ernst genommen. Das alles passierte Sonntagabend bis -nacht.
Morbus Addison ist eine sehr seltene Erkrankung, die unbehandelt tödlich ist. Das kann man nicht schön reden. Entdeckt wird diese Erkrankung fast ausschließlich, wenn sich die Betroffenen in einer akuten Addison-Krise befinden. Diese hat 4 Stadien. Wir waren bei 3,7.
Morbus Addison ist eine Nebenniereninsuffizienz. Das heißt, ihre Nebennieren produzieren kein Cortisol. Cortisol ist ein Hormon, welches allerlei Stoffwechselvorgänge im Körper regelt und beeinflusst. Fehlt dieses komplett, ist der Mensch nicht überlebensfähig.
Das heißt nun, lebenslanges Einnehmen von Hydrocortison, das Beisichhaben eines Notfallpasses und die Fähigkeit, die Warnzeichen des eigenen Körpers wahrnehmen und einordnen zu können. Kommt es zu überdurchschnittlichem Stress, muss die Dosis erhöht werden. Dazu gehören für meine Tochter nun eigentlich alltägliche Dinge, wie Sport, längere Autoreisen oder Flüge, Krankheiten und Entzündungen, Schwangerschaft, Geburt usw.
Ihre erste Dosis Hydrocortison erhielt sie noch in der Nacht. Immer im Wechsel mit Glukoselösung (ihr Blutzucker lag bei 2,6) und Flüssigkeit. Noch in der Nacht konnte ich beobachten, dass ihr Ruhepuls, der die ganzen Tage bei über 90 Schlägen pro Minute lag, um zehn Schläge sank. Sie schlief endlich ein und am nächsten Morgen konnte sie das erste Mal essen ohne zu Erbrechen. Die Therapie schlug an und wir begannen, Hoffnung aufzubauen.
Der Arzt hingegen war nicht einsichtig. Man hätte ja am Montagmorgen mit den Blutuntersuchungen weitergemacht. Ich kann nicht beschreiben, was diese Arroganz und diese Haltung mit mir machen. So ein junger Arzt und schon so passiv. Auf unsere Kosten.
Noch am selben Abend klagte meine Tochter nun doch wieder über Bauchschmerzen und übergab sich am nächsten Tag.
Ein Bauchultraschall kam zu dem Ergebnis, dass sich ihre Gallenblase stark entzündet hat und entfernt werden muss. Dabei habe ich doch gerade erst die Broschüre des Selbsthilfe-Netzwerks gelesen. Wir dachten doch, dass es jetzt bergauf geht. Dass sie an Gewicht zunimmt, die Energie zurückommt und wir schauen können, wie wir das nächste Jahr unerwarteter Weise gemeinsam bestreiten.
In zwei Wochen wäre sie für ein Jahr nach Amerika gegangen. Stattdessen liegt sie jetzt auf der Intensivstation, hat Schmerzen, muss verarbeiten, dass sie eine seltene Erkrankung hat und jetzt auch noch ohne Gallenblase auf ihre Ernährung einmal mehr schauen muss. Aufeinmal stehen wir da, alles abgemeldet, alles stillgelegt, keine Ausbildung, keinen Plan.
Und so komme ich zum zweiten Teil meiner doch sehr radikalen Blogüberschrift: Auch wenn ich um die Energie und ihre Frequenzen weiß. Um die Kraft der Manifestation und um die Dinge, die jetzt gut tun würden. Ich bin tieftraurig. Ich bin entsetzt, weine, kann nicht schlafen und habe Kopfschmerzen. Ich sitze nicht mit meinen Klangschalen da und beklinge mich selbst. Ich meditiere nicht und ich kann auch schlecht Hilfe annehmen.
Also solltest auch du mal in einer schweren Situation sein und neben all den Herausforderungen noch in die Falle des Glorifizierens tappen: Bitte lass das. Glaube nicht, dass all die Coaches, Gurus, Heiler und Erleuchteten in Zeiten des tiefen persönlichen Leids es auch nur einen Pfennig besser machen als du.
Mir hat mal eine Kundin gesagt, dass sie mich so bewundere. Ich würde so eine tiefe Entspannung und Gelassenheit ausstrahlen. Nicht, dass ich das nicht gern höre und dass es in dieser Situation, an diesem Tag, in diesen paar Minuten nicht auch so gewesen wäre. Aber was mitschwang, war eine Art Selbstverurteilung, dass sie nicht so entspannt sei. Und das möchte ich dir sagen: Tu das nicht! Fall nicht auf diese paar Minuten rein oder auf werbewirksam inszinierte Episoden. Das Leben ist ein Auf und Ab und all die Emotionen, der Ärger, die Wut, die Traurigkeit, Verzweiflung und Hoffnung und Freude gehören dazu. In herausfordernden Zeiten ist es nicht wichtig, dass wir besser werden. Sondern, dass wir durchhalten. Und das tut jeder auf seine eigene Art und Weise.
Das Ziel meiner Arbeit als Klangtherapeutin und Anwenderin des Emotionscodes ist es, in den anderen Zeiten, in den ruhigeren Zeiten, Ressourcen aufzubauen, auf die man zurückgreifen kann, wenn es kritisch wird. Ziel ist es, dass man weiß, was einem gut tut, wenn wieder Luft und Raum für Selbstfürsorge ist. Natürlich stehe ich dir auch bei, wenn du mitten in einer Krise bist. Es ist aber auch okay, inmitten dieser für diese Dinge keinen Kopf zu haben. Da geht es den Menschen wie den Leuten.
Also nein, ich sitze gerade nicht mit meinen Klangschalen da oder buche mir eine Massage. Ich schreibe diesen Blogartikel. Ich übe mich in Dankbarkeit, dass die Krise jetzt kam und nicht in Amerika. Ich bin dankbar dafür, dass sie lebt. Dass es Medikamente gibt, die sie nehmen kann. Dass dieses Krankheitsbild, wenn auch nicht heilbar, dennoch erforscht ist. Ich bin dankbar für all die Freunde, die mir jetzt gerade zur Seite stehen und ihre Hilfe anbieten, ihr Mitgefühl ausdrücken. Ich bin dankbar für meine Familie und meinen Partner, die mich allesamt stützen. Ich bin in diesen schweren Zeiten trotzdem für so vieles Dankbar. Und das ist etwas, das habe ich vorher etabliert. Dankbarkeit zu praktizieren ist wohl eine der wichtigsten Fähigkeiten.
Fazit:
Es geht nichts über die Liebe zum eigenen Kind.
Vertraue auf deine Instinkte! Wenn was nicht stimmt, dann stimmt was nicht.
Baue in kraftvollen Zeiten kraftvolle Quellen auf. Vor allen Dingen deinen Selbstwert. Mit diesem kommen Freundschaften in dein Leben, die dich unterstützen, wenn es drauf ankommt.
Übe dich in Dankbarkeit.
Versuche nicht, in schweren Zeiten besser zu werden oder dich mit Anforderungen noch mehr zu stressen. Vergleiche dich nicht!
Gib Acht auf dich und wenn du kannst: Nimm Hilfe an. Für deine Mitmenschen ist es auch nicht so leicht und sie fühlen sich besser, wenn sie da sein können.
In diesem Sinne: Danke fürs Lesen. Schreib mir gerne einen Kommentar, teile den Beitrag und dann: Fühl´ mal rein,
deine Tina.
Toll geschrieben. Offen, ehrlich, schonungslos. Ich wünsche Deiner Tochter alles Gute und Dir viel Kraft 🍀